Lord

Pinto-Merens-Mix-Wallach


 
 

Im September 2021 ist Lord bei uns eingezogen. Ich war auf der Suche nach einem gelassenen Endmasspony im mittleren Alter für meine Pony-Zeit-Mädels, welche aus der Shettygrösse herausgewachsen waren. So bin ich auf sein Inserat gestossen. Er wurde von einem Reitverein in der Zentralschweiz verkauft, weil er den Dienst unter den wechselnden Reitschülern in der Halle und auf dem Sandplatz verweigerte. Da wir mehrheitlich im Gelände unterwegs sind und ansonsten am Boden mit den Pferden arbeiten, passte es eigentlich ganz gut. Beim Probereiten in der Halle, stellten wir die angekündigten Probleme fest, im Gelände war er aber wie ausgewechselt: aufmerksam, freudig und mit guten Vorwärtsdrang. Im Handling am Boden stellte ich gewisse Defizite fest, aber diese sollten sich eigentlich schnell umtrainieren lassen. Der Fall war klar, Lord durfte bei uns einziehen!

Zuhause fing dann die richtige Kennenlernphase an. Er ist sehr herdenverträglich, zwar dominant (was zu Problemen mit Dorado geführt hat) aber äusserst sozial zu allen anderen Herdenmitgliedern. Er geniesst sichtlich die Zeit in der Herde, sich 24h frei bewegen zu können, immer Futter zur Verfügung zu haben, unter freiem Himmel schlafen zu können und die Nase in den Wind zu strecken. Bisher stand er in einer Innenbox mit täglichem Auslauf auf dem Gruppenpaddock.

Anbinden und Verladen waren/sind ebenso wenig ein Problem wie das Abspritzen mit dem Wasserschlauch, er liebt Wasser über alles. Auch auf den Ausritten im Herbst 2021 zeigte er seinen tollen Charakter. Mit seinem angenehmen Temperament waren die Touren immer eine Erholung, man musste ihn weder grossartig bremsen noch treiben. Er lief in allen Positionen innerhalb der Gruppe gelassen, passte sich je nach Begleitung den langen Schritten der anderen Grosspferde an oder wartete geduldig auf die kurzbeinigen Shettys.

Nun klingt alles so romantisch... so reibungslos war es leider in den anderen Bereichen nicht. Lord war/ist für mich eine ganz spezielle Herausforderung. Kaum betrat man bei der gemeinsamen Arbeit ein Areal in seiner Erinnerung, welche mit schlechten Erfahrungen in Verbindung stand, war es vorbei mit Frieden und Harmonie. Ich habe in meiner ganzen Pferde-Karriere noch nie ein Pferd oder Pony erlebt, welches so gegen den Menschen kam wie er.

So erholsam wie die Ausritte mit ihm waren, so schlimm wurde es auf der gleichen Strecke bei einem Spaziergang. Als es dann langsam kälter wurde, wurden auch die Ausritte mit ihm immer "lustiger", darum musste ich langsam die Probleme vom Boden aus mit ihm angehen. Bodenarbeit war ein absolut rotes Tuch für ihn. Seitwärts und Rückwärts gehen führte zu Tobsuchtsanfällen seinerseits, ohne Handschuhe und der vollen Konzentration meinerseits ging gar nichts. Ich hatte noch bei keinem Pferd solch einen hohen Puls in gewissen Situationen wie bei Lord. Druckaufbau, Entspannung und Timing mussten absolut perfekt passen, ansonsten hätte es für mich gefährlich enden können. Sein Vielfalt an Gegenwehr suchte seines Gleichen... Er war ungeheuer stark mit seiner Schulter und drängte einem ständig weg, als ob man ein Nichts wäre. Obwohl er nur 1.40m gross und knapp 450kg schwer ist, kam es mir eher wie ein riesen Kaltblut mit über 1 Tonne vor. Er hatte auch eine ausgeklügelte Taktik um Druck auszuweichen, welche mich echt zum Staunen gebracht hat. Er hat offenbar gelernt, bei seitlichem oder frontalem Druck, den Hals einfach um fast 180° abzuknicken (die Füsse standen dabei still wie eine Statue) und die Situation auszuharren bis sie vorbei war. So etwas habe ich in all den Jahren Pferdetraining echt noch nie gesehen. Ich stand die ersten paar Mal mit offenem Maul da und schüttelte nur noch den Kopf. Longieren war ebenso unmöglich... Er bockte, drehte den Hals nach aussen und riess sich los. Eigentlich wäre sinnvolle Kappzaumarbeit dringendst notwendig gewesen, da er auch körperlich einige Baustellen hatte. Dies mussten wir jedoch auf später verschieben, da ich keinen geeigneten eingezäunten Platz hatte.

Ich war fassungslos was Menschen (nicht der Reitverein von dem ich ihn habe, dort war er nicht lange, sondern seiner Vorvorbesitzer) aus einem Pferd machen können. Was muss Lord alles passiert sein, damit er einen dermaßen starken Panzer aufbauen musste???
Auch im Auslauf unserer Jungs-Gruppe, gab es immer wieder heikle Situationen. Zum Glück mehrheitlich mit mir (ich war ja auch die, die seinen heiligen Panzer knacken wollte) und es ist immer nur bei "Drohungen" seinerseits geblieben. Wenn er z.B. an einer Schubkarre schnupperte oder an einem herumstehenden Besen spielte und ich ihm diese Sachen kommentarlos wegnahm tickte er komplett aus ... bockte los, drehte sich um und schlug gegen mich aus. Mein Vertrauen in ihn war angeknackst und aus Sicherheitsgründen sagte ich auch den anderen Personen im Stall, dass sie ihn immer besonders im Aug haben müsse.

Er (als mein erstes Schulpferd) erhielt bei mir das gleiche Programm wie alle meine eigenen Pferde. Die Zähne wurden gemacht, er bekam einen angepassten Sattel und diverse alternative Therapiemethoden wurden bei ihm angewendet. Ich wollte vor allem seine körperlichen Defizite angehen im Bereich der Lendenwirbelsäule, dem Widerrist und dem stark verkürzten Hals.  Diese "Hilfe" wollte er nicht annehmen, es gestaltete sich schwierig, er liess kaum jemand sich richtig an sich ran. Alle Beteiligten sahen in ihm aber mehr als nur den "NEIN-Sager" und blieben dran...


Durch seinen emotionalen Schutzpanzer und den kurzen Hals, erhielt er bei uns kurzzeitig auch den liebevollen Übernamen 

Schildchrötli



Grosse Veränderungen im Leben, können eine 2. Chance sein.

Nun ist ein Jahr vergangen seit seinem Einzug und wir können stolz sagen, das Lord angekommen ist. Angekommen in seinem neuen Leben. Sein Panzer bekommt grosse Risse und unser gegenseitiges Vertrauen wächst. Lord ist nach wie vor der tollste Herdenchef den ich mir wünschen kann und hat überraschend eine grosse Rolle innerhalb meiner Herde übernommen. Er ist der Zieh-Papi meiner drei Fohlen. Er geniesst nun die ersten Spaziergänge mit seiner RB in unserem Gelände und ich kann (ohne Handschuhe) am Kappzaum (mit feinsten Hilfen) mit ihm arbeiten. "Seitwärts" und "Rückwärts" sind nun für ihn ganz selbstverständliche und gymnastizierende Übungen, diese Lektionen sieht er nicht mehr als Endgegner. Selbstverständlich ist noch nicht alles perfekt, aber wir sehen Licht am Ende des Tunnels...
Es geht in derart grossen Schritten voran, dass wir sogar mit der Freiarbeit beginnen konnten. Dies brauchte einiges an Mut unsererseits, da wir ihm unser vollstes Vertauen schenke mussten, für die Arbeit ohne Halfter. Gegen seine unberechenbaren Attacken (mit den Hinterhufen gegen uns auszuschlagen) war das Halfter unsere letzte "Sicherung". Damit konnten wir seinen Hals und den Kopf bei uns behalten und verhinderten das Abdrehen seiner Hinterhand gegen uns.

Er hat das geschenkte Vertrauen nicht ausgenutzt und so toll mitgearbeitet, dass wir fast geplatzt sind vor stolz. 

Seine Geschichte hat erst begonnen und rührt mich zu Tränen...


 

Pferde haben etwas, was den meisten Menschen fehlt;
Treue, Dankbarkeit und Charakter!